Buch: Hintergrundinformationen zum Thema Zugehörigkeit

2. Gesellschaftlich bedeutende Aspekte von Zugehörigkeit

2.3. Konsum

Auch diesen Abschnitt wollen wir wieder mit einem Video beginnen. Es verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Zugehörigkeit und Konsum, der als Identitätsstifter dient. "Ich kaufe, also bin ich" kann man also auch lesen als "Ich kaufe, also gehöre ich dazu". Auch was passiert, wenn man nicht mehr konsumieren kann (z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit und daraus reslutierendem Geldmangel), wird thematisiert. [Nach 14:24 könnt ihr das Video stoppen.]



Um den Zusammenhang zwischen Konsum und Zugehörigkeit geht es auch diesem Artikel, der 2012 in der Wochenzeitung "Die Zeit" erschienen ist. Der wichtigste Teil daraus:

Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. "Eines unserer stärksten Grundmuster ist unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit", sagt der Psychologe Arnd Florack von der Universität Wien. Und das spielt den Marketingexperten in die Hände. Marken sind bestens geeignet, um Gruppen zu identifizieren, denen man sich anschließen kann. [...] "Dazuzugehören war in der Evolution überlebenswichtig", sagt Florack.

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Auch der Zusammenhang zwischen Konsum und Zugehörigkeit ist komplex. Deshalb auch hier zunächst ein etwas analytischerer Blick auf das Thema (vgl. etwa Haupt 2018 oder Kühn & Koschel 2010):

Konsum ist nicht nur der Kauf einzelner Waren. Die meisten SoziologInnen verstehen darunter auch "kulturell geformte Praktiken, die sich auf den Kauf und die Verwendung von Gütern beziehen." Für sie ist Konsumhandeln zur dominanten Form des Alltagshandelns überhaupt geworden, das alle Lebensbereiche durchdringt. Man spricht von einer Konsumgesellschaft, in der die Identität der einzelnen Personen vom Konsum abhängt. Wenn Zugehörigkeit zu Familie, Religion, politischem Lager oder Beruf an Bedeutung verliert, so wird die eigene soziale Verortung durch Konsum immer wichtiger.

Über das Konsumverhalten zeigt der Mensch also, wo er gesellschaftlich steht, zu welchem Milieu, zu welcher Gruppe er gehört. Eine Vielzahl individueller Gruppenzugehörigkeiten trägt zur eigenen Identität bei, die meisten davon sind eng mit der Sphäre des Konsums verbunden: Ernährung, Musikgeschmack, Mode, Technik, Freizeitverhalten, Autos.

Wie eng Identität und Kaufverhalten bereits im Jugendalter miteinander verknüpft sind, lässt sich auf Schulhöfen beobachten. Wer sich Modetrends entzieht, wird schnell zum Außenseiter. Gleichzeitig dienen Jugendlichen vor allem Handy und Bekleidung aber auch zum Ausdruck von Individualität.

Konsum ist also nicht per se gut oder schlecht. Er hat Eigenschaften, die identitätsstiftend wirken, aber auch solche, die als identitätsgefährdend betrachtet werden müssen.

  • Konsum kann Orientierung geben, indem er (Selbsts-)Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Er kann auch gesellschaftliche Integration fördern, indem man dadurch Interessen artikuliert und mit Gleichgesinnten zusammentut (z.B. Veganismus). Und er kann Authentizität fördern, indem er neue Erfahrungen ermöglicht, die wiederum die eigenen Werthaltungen stabilisieren.

  • Konsum kann aber auch zu Fragmentierung führen, indem er soziale Vereinsamung und Verlust von Kommunikationsfähigkeit bedingt (z.B. übersteigerter Medienkonsum). Er kann auch zur Ausgrenzung führen, da er Zeit, Geld und Wissen verlangt, das nicht alle haben. Und er kann Entfremdung fördern, wenn er unreflektiert geschieht und das eigenständige Denken ersetzt.

Abbildung nach Kühn & Koschel 2010


2.3.1 Globale Problemlagen im Themenfeld "Konsum"

Konsum hat nicht nur Auswirkungen auf die eigene Identität und schafft Zugehörigkeit. In einem globalisierten Wirtschaftssystem, in dem Produkte schon in der Erzeugung über weite Strecken hinweg verschifft werden bevor sie im Einzelhandel landen, schließen sich daran massive weltweite Problemlagen an. Wenn Rohstoffe auf einem Kontinent geerntet oder abgebaut, auf einem anderen zu einem Produkt verarbeitet, die Produkte auf einem dritten verkauft und auf einem vierten entsorgt werden, stellt sich vor allem die Frage nach den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, die in diese Produktions- und Verarbeitungsprozesse involviert sind.

Es gibt viele Produktgruppen, die vorwiegend in Ländern des Globalen Südens mit schwachen menschen- und arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen und niedrigem Lohnniveau - oft unter Einsatz von Kinder- und Zwangsarbeit - erzeugt und entsorgt werden. Dazu gehören heute:

  1. Lebensmittel, v.a. Kaffee, Kakao/Schokolade, Bananen
  2. Textilien, v.a. Mode, Sport- und Arbeitskleidung
  3. Elektronikartikel, v.a. Handys, Computer, Fernseher
  4. außerdem Spielwaren, Natursteine für Garten- und Straßenbau oder Blumen
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Da das Problemfeld sehr groß und schwer durchschaubar ist, möchte ich mit euch einige Schlaglichter auf die verschiedenen Bereiche werfen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich über die Schattenseiten des Konsums als Motor der Zugehörigkeit zu informieren. Ihr könnt mich gerne nach mehr Quellen zu diesem Thema fragen.

  • Tee ist nach Wasser das meistgetrunkene Getränk auf der Welt. Das Aufgussgetränk wird aus den Blättern des ursprünglich in China beheimateten und nunmehr in gut 30 Ländern der Welt gezüchteten Teestrauchs gewonnen. Mehr als sechs Millionen Tonnen Teeblätter werden so jährlich geerntet und überwiegend zu grünem und schwarzem Tee verarbeitet. Was viele nicht wissen: Die Pflückerinnen und ihre Familien leben und arbeiten unter höchst problematischen Bedingungen.


  • Mit Mode (Bekleidung, Schuhe, Taschen und Accessoires) werden jährlich über 500 Milliarden Dollar umgesetzt. Das meiste davon mit so genannter Fast Fashion. Marken wie PRIMARK, H&M oder ZARA reagieren ganz kurzfristig auf neue Trends, bringen fast wöchentlich neue Kollektionen auf den Markt und das zu absoluten Niedrigpreisen. Spätestens seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesch 2013, bei dem mehr als 1100 Menschen starben und fast 2500 verletzt wurden, steht dieses Wirtschaftsmodell in der Kritik, weil es den Preis- und Zeitdruck in der Lieferkette weitergibt – bis zu den ArbeiterInnen, die die Mode unter menschenunwürdigen Bedingungen fertigen.




  • Die Elektronikschrottdeponie in Agbogbloshie befindet sich im gleichnamigen Stadtteil der Millionenmetropole Accra im westafrikanischen Ghana. Nordwestlich des Hauptgeschäftsviertels von Accra am Ufer der Korle-Lagune gelegen, leben hier 40.000 Menschen auf einer Fläche von etwa 1600 ha (16 km²) Land. Die Deponie steht sinnbildlich für die Auswirkung illegal eingeführten Elektronikschrotts, der aus Europa stammt. Bei der nicht organisierten und vollkommen unsachgemäßen Trennung der Wertstoffe – u. a. mit Hilfe von offenen Feuern – entstehen hochgiftige Dämpfe aus den Bauteilen. Aufgrund dessen gilt der Ort als einer der am schlimmsten verseuchten Orte der Welt.



  • In der Steinindustrie Indiens ist Kinderarbeit weit verbreitet. Bereits im Alter von sechs Jahren sind oft mehr Kinder in den Steinbrüchen als in der Schule anzutreffen. Generell ist Kinderarbeit in Asien aber auch in Afrika ein großes Problem: Laut UNICEF sind mehr als 190 Millionen Unter-14-Jährige weltweit davon betroffen. Sie sind neben Steinbrüchen vor allem in der Landwirtschaft (Kaffee-, Kakao-, Teeanbau), in Minen, in Fabriken und kleinen Werkstätten, als Haushaltshilfe oder im Straßenhandel tätig.
    Unter diesem Link findet sich auch zu diesem Thema ein Video.